Die Ergebnisse der Landtagswahl in Thüringen werfen Fragen auf, die über die Landesgrenzen hinaus reichen: 36 Prozent der Wählerinnen und Wähler zwischen 18 und 29 Jahren stimmten für die AfD. Das sind 11 Prozent mehr als bei der Wahl 2019. CDU und Linke? Abgeschlagen mit jeweils 13 Prozent. Diese Zahlen sind ein Alarmsignal, das wir nicht ignorieren dürfen. Was treibt die junge Generation in die Arme der AfD? Und was müssen wir als etablierte Parteien tun, um das Vertrauen der jungen Menschen zurückzugewinnen?
Die Antwort darauf ist nicht einfach, aber ein Aspekt sticht heraus: Die AfD hat die sozialen Medien für sich entdeckt – und beherrscht sie meisterhaft. Insbesondere bei TikTok, wo viele junge Menschen ihre Nachrichten beziehen und sich austauschen, ist die AfD überdurchschnittlich aktiv. Sie spricht die Sprache der Jugend und weiß, welche Knöpfe sie drücken muss, um Aufmerksamkeit zu gewinnen. Mit Slogans wie „Ja zur Jugend!“ inszeniert sich die Partei als einzige politische Kraft, die die Anliegen der jungen Generation ernst nimmt. Häufig ist die AfD die einzige Partei die in den Feed der jungen Menschen gespült wird. Zwischen Zero-Produkten und Tanz-Trends werden die Jugendlichen mit „Echten Männern“ und „Messermann-Reden“ bombardiert. Die AfD hat es verstanden Social Media nicht auf einen Parteiaccount aufzubauen, sondern auf vielen Schultern – eine Taktik die auch dem TikTok-Algorithmus gefällt. Man kommt um diese Beiträge, Videos und mehr nicht herum.
Hinzu kommt, dass die AfD zunehmend als „normal“ wahrgenommen wird, wie auch Generationenforscher Rüdiger Maas zuletzt feststellte. Was früher ein Tabu war, ist heute für viele eine legitime Wahloption – auch bei jungen Menschen, die sich vielleicht eher als Nonkonformisten verstehen und nach neuen Wegen suchen. Die politische Abgrenzung, die früher die AfD in eine radikale Ecke stellte, verliert an Kraft. Diese Normalisierung ist ein gefährliches Signal: Sie zeigt, dass die ideologische Brandmauer bröckelt und der gesellschaftliche Konsens, den Extremismus abzuwehren, an Wirkung verliert. Aber auch das ist kein alleiniges Symptom für die junge Generation. Wie oft haben wir im Wahlkampf am Stand oder im Gespräch erlebt, dass der Rechtsextremismus der AfD kein Argument gegen diese Partei ist. Die Wählerinnen und Wähler wählen die AfD trotz Extremismus – und auch trotz Höcke.
Existenzängste statt Aufstiegshoffnungen
Es geht nicht nur um Medienstrategien und gesellschaftliche Akzeptanz. Es geht um handfeste Existenzängste, die viele junge Menschen umtreiben: steigende Mieten, wachsende Lebenshaltungskosten und unsichere Zukunftsaussichten. Junge Menschen fragen sich: „Werde ich jemals ein eigenes Haus haben?“ Und die etablierte Politik hat darauf oft keine überzeugenden Antworten. Die AfD bietet hier vermeintlich einfache Lösungen und spricht damit ein Gefühl der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit an.
Die Erklärung für die Wahlentscheidung vieler junger Menschen könnte noch tiefer liegen. Es zeichnet sich ein Trend ab, in dem junge Wähler immer öfter das Gefühl haben, dass andere mehr bekommen, ohne dafür etwas tun zu müssen. Diese Generation ist mit dem Versprechen aufgewachsen, dass ihnen alle Möglichkeiten offenstehen – doch gleichzeitig sehen sie in den sozialen Medien und im Alltag immer wieder Beispiele, die sie frustrieren: Menschen, die ohne Arbeit Bürgergeld beziehen, oder Geflüchtete, die finanzielle Unterstützung erhalten, ohne eine Gegenleistung zu erbringen. Diese Wahrnehmung führt zu einer regelrechten Neid-Debatte, die die AfD gezielt für sich nutzt. Sie greift die Unzufriedenheit auf und verstärkt das Gefühl, dass Leistung in unserer Gesellschaft nicht mehr zählt, multipliziert die Abneigung gegen Geflüchtete.
Doch dabei wird übersehen: Wohlstand und soziale Sicherheit kommen nicht von ungefähr. Wenn wir möchten, dass unsere Gesellschaft stark und zukunftsfähig bleibt, müssen wir den Zusammenhang zwischen Einsatz und Ertrag wieder deutlich machen. Es muss klar sein: Von nichts kommt nichts. Wer arbeiten kann, muss auch die Möglichkeit und den Anreiz haben, dies zu tun. Hier ist die Politik gefragt: Wir müssen den Neid aus dem Weg räumen, indem wir dafür sorgen, dass es keine leistungslosen Transfers gibt. Stattdessen sollten wir denen, die arbeiten können, die Perspektive auf Eigenständigkeit und Wohlstand durch eigene Anstrengungen bieten.
Leistung und Aufstieg sind nicht out – oder doch?
Deutschland war und ist stark, weil wir fleißig und produktiv sind. Unsere Wirtschaftskraft beruht auf dem Prinzip des Leistungswillens und der Bereitschaft, Herausforderungen anzunehmen und daran zu wachsen. Doch was passiert, wenn diese Bereitschaft schwindet? Wenn eine ganze Generation sich eher für die Freizeit entscheidet und Leistung als etwas Altmodisches betrachtet? Diese Entwicklung ist nicht nur gefährlich für unsere Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Ein symbolträchtiges Beispiel: Vor dem Thüringer Landtag sah man vor Kurzem Demonstranten mit Plakaten, die forderten: „Mehr Lohn, Mehr Freizeit, Weniger Arbeit.“ Klingt verlockend, ist aber letztlich eine trügerische Vorstellung. Wohlstand und wirtschaftlicher Erfolg kommen nicht von ungefähr. Sie sind das Ergebnis harter Arbeit, Innovation und Durchhaltevermögen. Wer glaubt, dass man mehr bekommen kann, indem man weniger tut, irrt sich. Dieser Irrtum wird teuer – für uns alle.
Die AfD ist identitätsstiftend
Sie inszeniert sich als Partei, die gegen die „Eliten“ kämpft und die „Interessen des kleinen Mannes“ vertritt. Auf einer Simson ohne Helm sitzend sieht man Björn Höcke in Thüringen auf einem Plakat mit der Überschrift „Ja zur Jugend!“. Ein Bild, das Freiheit symbolisieren soll – es geht dabei nicht nur um politische Inhalte, sondern auch um Identität und Zusammenhalt. Ein Beispiel dafür ist Maximilian Krah, der von „echten Männern“ spricht und damit ein Bild von Stärke und Authentizität zeichnet, das gerade junge Männer ansprechen soll. Diese Erzählung wird unterstützt durch persönliche Gesten wie die von Björn Höcke, der in Thüringen eine Rundfahrt mit Jugendlichen auf der Simme unternimmt. Damit inszeniert er sich als einer von ihnen, als jemand, der die Lebenswelt und die Wünsche der Jugend versteht – was er nicht erzählt, ist dass er als Westdeutscher das Kultsymbol des Ostens als Jugendlicher wahrscheinlich gar nicht selbst gefahren ist. Die Instrumentalisierung dieses gut riechenden Zweitakters zeigt sich allein darin, dass er dieses ostdeutsche Kulturgut „Simmi“ nennt, was jedem Liebhaber übel aufstoßen sollte. Ist das schon kulturelle Aneignung?
Mit solchen Aktionen vermittelt die AfD ein starkes Wir-Gefühl: Sie bietet jungen Menschen nicht nur politische Botschaften, sondern auch Symbole und Narrative, die Freiheit und Unangepasstheit verkörpern. Die AfD wird so zur identitätsstiftenden Kraft, die sich als Gegenpol zu den „Eliten“ inszeniert und ein Gemeinschaftsgefühl schafft, das vielen jungen Wählern in der fragmentierten modernen Gesellschaft fehlt.
Damit holt sie nicht nur deutsche Jugendliche ab. Vor der Landtagswahl teilten Jugendhäuser aus Erfurt ihre U-18-Wahl. Auch die Häuser mit einem hohen Anteil an jungen Menschen mit Migrationshintergrund zeigen in Umfragen eine erschreckend hohe Zustimmung zur AfD. Eigentlich ein Paradoxon, sind es doch häufig Kinder, die nach Deutschland flüchteten, die in diesen Jugendhäusern scheinbar für die AfD stimmten. Wissen diese Kinder, dass sie hier kein Zuhause mehr hätten, würde die AfD die Macht haben? Trotzdem: Die Partei erscheint als die einzige, die jungen Menschen eine vermeintliche Stimme gibt. Doch ist das die richtige Stimme?
Warum andere Parteien die Jugend nicht erreichen
Warum aber gelingt es anderen Parteien nicht, diese jungen Menschen anzusprechen? Die Antwort ist komplex: Oftmals wird der Eindruck vermittelt, dass wir die Anliegen der jungen Menschen aus den Augen verloren haben. Junge Wähler und die Grünen – das galt lange als perfektes Match. Die Partei schien wie gemacht für die idealistischen Träume und die ökologische Sensibilität der jungen Generation. Doch spätestens seit der Europawahl ist dieses Verhältnis spürbar abgekühlt. Eine aktuelle Studie des Instituts für Generationenforschung legt sogar offen, dass viele Jungwähler die Grünen zunehmend als Bedrohung wahrnehmen. In einer Erhebung gaben 30 Prozent der befragten jungen Menschen im Osten an, dass die Grünen ihnen Angst machen. Bemerkenswert ist, dass diese Angst vor den Grünen nur noch von der Angst vor der AfD übertroffen wird: 65 Prozent der Befragten im Osten fürchten sich vor der AfD. Dieses Ergebnis zeigt, dass auch die Grünen als eine Partei, die einst als natürliche Heimat junger Wähler galt, ihr Profil schärfen und sich fragen müssen, warum sie zunehmend als Bedrohung statt als Hoffnungsträger wahrgenommen werden.
Gerade die CDU muss sich aber fragen, warum sie nicht als die Partei des Aufstiegs, der Chancengleichheit und der Eigenverantwortung bei jungen Menschen durchdringt – oder ob es genau das ist, was diese Generation abschreckt. Leistung muss sich lohnen ist eben nur für die appealing, die auch etwas leisten wollen, die eigene Ansprüche haben. Gleichzeitig müssen wir uns die Frage stellen, ob wir denn überhaupt zu dieser Generation durchdringen wollen oder ob sie als Wählergruppe einfach aufgegeben wird?
Ich sage: Auf keinen Fall – allein, weil so viel Potenzial in den jungen Menschen steckt! Denn diese Generation ist keineswegs faul oder unmotiviert – sie ist neugierig, kreativ und hungrig nach Veränderung. Wir müssen nur lernen, ihre Sprache zu sprechen und ihre Anliegen ernst zu nehmen. Wir müssen ihnen ein neues Angebot machen. Ein Angebot, das klar sagt: „Ja, es wird nicht einfach, aber es lohnt sich, für den eigenen Wohlstand zu kämpfen.“ Wer etwas erreichen will, muss bereit sein, etwas dafür zu tun.
Als CDUlerin sehe ich ein enormes Wählerpotenzial in dieser Generation. Aber wir müssen den Mut haben, ihnen zu sagen, dass Wohlstand nicht vom Himmel fällt. Dass Freiheit und Sicherheit kein Selbstläufer sind. Dass sie ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen müssen – und dass wir ihnen dafür die besten Rahmenbedingungen bieten. Wer die Hängematte sucht, wählt nicht die CDU. Aber wer auf Aufstieg, Leistung und Wachstum setzt, der wird bei uns eine politische Heimat finden.
Ein positiver Ausblick: Gebt diese Generation nicht auf!
Mein Appell ist klar: Gebt diese Generation (immer noch) nicht auf! Sie hat das Potenzial, Deutschland zu erneuern und voranzubringen. Aber dafür müssen wir sie ernst nehmen, mit ihr reden, ihre Ideen und Sorgen verstehen und sie motivieren, sich einzubringen. Wir müssen als CDU wieder klar machen, wofür wir stehen: Für Leistung, für Aufstieg, für einen Wohlstand, der erarbeitet wird. Das ist kein Widerspruch zur modernen Lebenswelt, sondern die Grundlage für eine stabile Zukunft.
Die Jugend ist keineswegs verloren. Aber wir müssen sie von den falschen Versprechen der AfD wegführen und ihnen zeigen, dass Leistung und Anstrengung nicht altmodisch, sondern der Schlüssel zu einer lebenswerten Zukunft sind. Es liegt an uns, diese Generation zurückzugewinnen. Denn wer die Zukunft gestalten will, muss bereit sein, Verantwortung zu übernehmen.
Die Jugend braucht mehr als einfache Antworten. Sie braucht einen echten Dialog, Mut zur Veränderung und die Bereitschaft, gemeinsam anzupacken. Sie wollen ernstgenommen werden, dazu gehören, sie wollen Gehör bekommen, aber ohne dafür zu viel machen zu müssen. Die Beteiligung, die Gemeinschaft und das Zuhören muss dafür zu ihnen kommen – egal ob in Schulen, Jugendhäusern, im Verein, in Parks oder in den sozialen Netzwerken. Holt die jungen Menschen dort ab, wo sie zu Hause sind und wo sie leben; lasst sie nicht allein. Nur so erreichen wir sie noch.
Die enormen Schwankungen in den Wahlergebnissen der jungen Generation mögen schockierend sein, doch sie zeigen eins ganz deutlich: Die jungen Leute lassen sich überzeugen. Das ist unsere Aufgabe.